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PROJEKTREPORTAGE

UP! Berlin

Jasper Architects, Gewers Pudewill, Berlin

Foto: HG Esch

Kaufhaus wird Bürokristall

  • Text: Christoph Tempel
  • Fotos: HG Esch

Hinter dem Berliner Ostbahnhof wurde das Centrum Warenhaus aus DDR-Zeiten sorgsam in ein hochmodernes Bürogebäude transformiert.

In Berlin-Friedrichshain, ein wenig abseits von der Media-Spree, wurde ein Bürogebäude fertiggestellt und von den ersten beiden Mietparteien, dem Onlinemodehändler Zalando und dem Zahlungsdienstleister SumUp bezogen. Diese Meldung scheint recht lapidar angesichts der Vielzahl von Büroneubauten, die im Bereich zwischen Warschauer Brücke und Ostbahnhof in den letzten Jahren vor allem von Zalando errichtet und bezogen wurden. Doch hier hinterm Ostbahnhof wurde kein Neubau aus dem Boden gestampft, sondern ein moribundes Bestandsgebäude sorgsam in etwas lebendiges Neues verwandelt.

Ausgangspunkt dieser gelungenen Revitalisierung war das 1979 eröffnete, damals hochmoderne Centrum Warenhaus in dem von Plattenbauten dominierten Stadtgefüge im Rücken des drittgrößten Bahnhofs Berlins. Dabei handelte es sich um einen sechsstöckigen quadratischen Solitär von 80 Metern Kantenlänge, der trotz eines Kolonnadengangs mit Schaufenstern im Erdgeschoss eher warenhaustypisch verschlossen war. Die Wende, ständige Besitzerwechsel und der langsame Niedergang der innerstädtischen Kaufhauskultur brachten 2016 das Ende.

Das gläserne UP! gibt der Stadt an dieser Stelle optisch Halt. Sind erst alle Läden im Erdgeschoss vermietet, kann es vielleicht auch der Rolle als Nahversorger gerecht werden.

Vorläufiger Schlusspunkt der Wiederbelebung ist ein hochmodernes, transparentes Bürogebäude mit vier tiefen Einschnitten in der Gebäudehülle und 78 unterschiedlich großen Terrassen. UP! will der neunstöckige Bau genannt werden, der abends in den recht heterogenen Stadtraum ausstrahlt wie ein Kristall. Oben auf thront eine gigantische Dachterrasse, die leider nur für die Mitarbeiter:innen zugänglich ist.

UP! hebt sich sorgsam saniert von vielen gesichtslosen Neubauten in Berlin-Friedrichshain ab.

Im Stadtraum integriert
Es ist das Verdienst von Martin Jasper, die schiere Größe des Baus so aufbereitet zu haben, dass ein ansprechendes, in den Stadtraum integriertes Gebäude daraus wurde. Schon das Entwurfsmodell des aus Buenos Aires stammenden Architekten zeigt die geplante Vorgehensweise auf: Anstatt einen Innenhof zu errichten, schneidet Jasper den Kubus an allen vier Seiten unterschiedlich tief ein und bringt dadurch Licht in die mit 5,40 Metern sehr hohen Regelgeschosse des tiefen Baukörpers. Die „Voids“ oder „Canyons“ genannten Einschnitte versieht er mit gestaffelten Terrassen, die das Fassadenbild beleben. Zwei auf den Bestand gestapelte Staffelgeschosse gleichen die verlorenen Flächen aus.

Umgesetzt hat Jasper den Entwurf auf Wunsch des Bauherrn SIGNA schließlich gemeinsam mit dem zweitplatzierten, in Berlin ansässigen Büro Gewers Pudewill, das auch die Generalplanung übernahm. Was sich so einfach anhört – herausschneiden, obendrauf stapeln und mit einer transparenten Fassade versehen – gestaltete sich jedoch schwieriger als vorgestellt. Vor allem die zu gewährleistende Standfestigkeit während der Abbrucharbeiten stellte eine Herausforderung dar, die die Tragwerksplaner von Bollinger und Grohmann u.a. mithilfe moderner Klebebewehrungen bewältigen konnten.

Ein neuer, zentral angeordneter, fünfter Erschließungskern führt zur verbesserten Erschließung der Geschosse. Schräge Sichtbetonstützen entlang der Voids sichern die Standfestigkeit des Endzustands, zeichnen für alle sichtbar den herrschenden Kräfteverlauf nach und beleben das Bild des sehr weiten Stützenrasters von 12 mal 12 Metern. Das Raster verleiht dem Bau eine industrielle Anmutung, die auch von der Rauheit des Skeletts und den darin eingeschriebenen historischen Spuren lebt.

Belebte Fassade
Das von Zalando entwickelte Farbkonzept verteilt 15 Farbtöne pro Etage auf die Böden und Teeküchen. Kleinere Einbauten in und um die vier alten Erschließungskerne bewahren den großzügigen Raum und fügen sich harmonisch in das große Ganze ein. Hier befinden sich Besprechungsräume. 500 Deckensegel pro Etage sorgen für gute Akustik und verdecken die notwendige Haustechnik.

Die hoch artifizielle Elementfassade schließt den Bau mit raumhohen Fenstern nach außen ab. Im Vergleich zu herkömmlichen Büroneubauten sind die Scheibenabmessungen größer und mussten in der Planung von Beginn an berücksichtigt werden. Der regelmäßige Wechsel von transparenten und geschlossenen Elementen mit schmalen Lüftungsflügeln schafft ein belebtes Fassadenbild, das durch das sichtbare Tragwerk und die im Gebäude arbeitenden Menschen noch lebendiger wird.

An Sonnentagen reflektiert die Fassade alle Farben, gegen Novembergrau und Umgebungstristesse aus großen Parkplatzbrachen, lieblos gestaltetem öffentlichem Grün, temporären Marktständen und verwaisten Imbissbuden, kommt jedoch auch sie nicht an. Und doch gibt das gläserne UP! der Stadt an dieser Stelle optisch Halt. Sind erst alle Läden im Erdgeschoss vermietet, kann es vielleicht auch der Rolle als Nahversorger gerecht werden. Die nach allen Seiten ausgerichteten, hohen Ladenlokale warten auf Gastronomie und Einzelhandel.

Aufenthaltsqualität statt Parkplatzbrachen
300 Stellplätze mit Bügeln sorgen in einem zentralen Raum im Erdgeschoss für das entspannte Ende einer Fahrradfahrt zur Arbeit. Sie werden um 100 Autostellplätze in der Tiefgarage ergänzt. Zwei Aufzüge sorgen für den platzsparenden Transport ins Untergeschoss, wo das halbautomatische Parksystem Combilift 551 von WÖHR ebenso zügiges wie komfortables Parken auf zwei Ebenen sicherstellt.

Der Combilift ermöglicht auf kleinster Grundfläche Stellplätze auf zwei Ebenen.

Qualität und Zuverlässigkeit waren die ausschlaggebenden Kriterien für die Architekten, sich angesichts der Komplexität der vorgegebenen Raumverhältnisse für ein Produkt aus dem Hause WÖHR zu entscheiden. Außerdem verfügten sie schon über positive Erfahrungen anderer Bauprojekte, bei denen sie WÖHR zum Einsatz brachten. Dass nur zehn Prozent der Stellplätze für das Laden von E-Autos ausgerüstet wurden, ist aus Sicht der Architekten heute wohl eine zu kleine Zahl – die Zeiten ändern sich. Wie im ganzen Haus prallen alte und neue Schichten auch in der Tiefgarage aufeinander: „Kraftfahrer verbleiben beim KFZ“ und „Motor abstellen“, steht auf dem großen Betonunterzug aus den Siebzigerjahren unter dem einige der neuen Parkboxen stehen.

Wenn die Parkplatzbrachen in naher Zukunft hoffentlich verschwunden sein werden und mit dem Neubau einer Schule und des neuen Bezirksrathauses urbanes Leben einzieht, wird aus dem heterogenen Stadtgefüge hinter dem Ostbahnhof wieder ein Quartier mit Aufenthaltsqualitäten. Das gläserne UP! Nimmt hier die Rolle eines Vorreiters ein, der auch in Sachen Nachhaltigkeit Maßstäbe setzt. Allein das Tragskelett nicht abzureißen, sondern zu ertüchtigen hat zu einer Einsparung eines Äquivalents von 8.000–10.000 Tonnen CO2 geführt. Die schiere Größe der Etagen, deren lichte Höhe und die hohe Traglast lassen auch andere Nutzungen als die von Büros zu. Das UP! ist also gewappnet, sollte sich das Arbeitsleben zukünftig weiter in Richtung Homeoffice entwickeln.

Produktinformationen
5 x WÖHR Combilift 551
Bedienung über RFID-Chip, Fahrzeuglänge max. 500 cm, Fahrzeughöhen175 und 200 cm, Plattformbelastung 2.000 kg, Plattformbreiten 240 und 250 cm, 69 Stellplätze

Architekten

Das Architekturstudio Jasper Architects wurde 2008 von Martin Jasper gegründet und hat Niederlassungen in Berlin, Buenos Aires und Wien. Die kulturübergreifende und flexible Arbeitsweise trägt viel zum Charakter des Büros bei. Das Portfolio reicht von Innenarchitektur über den Objektbau bis zur Stadtplanung. Jasper Architects entwerfen und planen Bauten mit einer starken Identität, die sich auf das Lokale beziehen und das Globale im Blick haben.

Gewers Pudewill wurde 2008 von Georg Gewers und Henry Pudewill gegründet, der Sitz ist in Berlin. Das Büro bearbeitet unterschiedliche Entwurfs-, Architektur- und städtebauliche Aufgaben von Wohnungs-, Büro- und Kulturbauten über Labor- und Industriebau bis hin zu Masterplänen für Hochschulen und Industriestandorte. Entscheidend für die Entwürfe ist die individuelle Rolle, die ein Gebäude an seinem speziellen Ort einnehmen kann.

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